"Ausgewogenheit" in den deutschen Medien

GegenGerd, Donnerstag, 08. Mai 2003, 08:27 (vor 7869 Tagen)

Zum Thema Ausgewogenheit in der deutschen
Medienberichterstattung: Da haben die deutschen
Medien nun wochenlang wegen der Plünderungen im
Nationalmuseum auf die USA eingedroschen. Heute
kommt diese Nachricht (s. u.), die allerdings bei
Spiegel online nur eine Randnotiz ist und von
anderen erst gar nicht gebracht wird...
Genau so, wie es kaum thematisiert wird, daß es
immer weniger Pländerungen, dafür mehr Strom und
Wasser gibt und derzeit auch offenbar auch keine
Massendemos. Der deutsche Fernsehzuschauer kriegt
alle tatsächlichen oder scheinbaren Pannen und
Verfehlungen wochenlang in epischer Breite
vorgekaut. Wenn sich daran dann einmal etwas zum
Positiven ändert, wird das dagegen weitgehend
verschwiegen, weil es scheinbar nicht ins das Bild
der schießwütigen, rücksichts- und
konzeptionslosen Amerikaner paßt. Diese
Überheblichkeit dehnt sich im übrigen auf die
Verbündeten der USA aus, wie jeder, der gestern
die süffisant-ins-Lächerliche-ziehende
Anmoderation von Marietta Slomka zum polnischen
Irak-Vorschlag gesehen hat, miterleben konnte...

"Wertvoller Fund in Bagdad: US-Zollbeamte und
Museumsexperten haben nach Informationen des
Nachrichtensenders CNN fast 40.000 Manuskripte und
700 Kunstgegenstände entdeckt, die im Kriegschaos
in der irakischen Hauptstadt verschwunden waren.

DPA

Museum in Bagdad: Erleichterung nach spektakulärem
Fund

Washington - Das irakische Nationalmuseum und die
Nationalbibliothek waren nach dem Einmarsch von
US-Truppen im vergangenen Monat in Bagdad
geplündert worden. Die amerikanische Armee war
heftig dafür kritisiert worden, dass sie die
Diebstähle nicht verhinderte, denen
Kunstgegenstände von teils unschätzbarem Wert zum
Opfer fielen.
Allerdings ist der Schaden offenbar weit geringer
ausgefallen als zunächst befürchtet, wie CNN unter
Berufung auf Mitarbeiter der US-Einwanderungs- und
Zollbehörde (ICE) berichtet. Demnach fehlen nur 38
Stücke aus den Beständen des Museums. Dies lasse
sich aus den vorliegenden Fotos und Dokumenten
schließen, erklärten ICE-Mitarbeiter.

Eine große Menge des Raubguts sei in geheimen
Lagerräumen des Museums gefunden worden. Sie seien
vor dem Krieg dort versteckt worden. Andere seien
nach dem Versprechen von Belohnungen und
Straffreiheit zurückgegeben worden, hieß es
weiter. Einige der wertvollsten Gegenstände wurden
nach Einschätzung von US-Beamten jedoch von
professionellen Dieben entwendet."

http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,24772
9,00.html

"Ausgewogenheit" in den deutschen Medien

Alexander, Donnerstag, 08. Mai 2003, 14:48 (vor 7869 Tagen) @ GegenGerd

Zum Verhalten der deutschen Medien beim Thema Irak
Krieg UND USA generell, möchte ich mich gar nicht
äußern. Dazu wurde schon genug gesagt, und ich
habe auch vor einiger Zeit mit Herrn Graebert (ala
"Panorama. Berichte - Analysen - Meinungen", ARD)
eine Diskussion via E-Mail geführt, die mir nur
wieder mal gezeigt hat, daß es gar nicht um den
Irak, sondern nur um Amerika geht.

Letzteres kann man ja sehr schön an der jetzigen
Haltung Deutschlands sehen. Friedenstruppe? Nicht
die Bohne! Nicht, dass ich viel von
Friedenstruppen halte, die jahrelang irgendwo
herumlungern, besonders unter UN Mandat nur sehr
limitiert agieren können und dabei Unmengen an
Geldern verschlingen - die BW hat in dieser
Hinsicht ihre Belastungsgrenze durch Kosovo und
Afghanistan ohnehin schon überschritten.

Aber das Ausschließen einer deutschen
Friedenstruppe bzw das Anbieten einer solchen, ist
ein weiteres Signal, das keinen Zweifel über die
Richtung der deutschen Außenpolitik lässt.
So gehört es in der Diplomatie einfach zum guten
Ton, daß man zumindest offiziell Signale setzt,
die eine Haltung bekräftigen sollen, die u.U.
nicht die wahrhaftige ist. Natürlich erkennen
beteiligte Regierungen das falsche Spiel, aber
darum geht es nicht. Es geht darum, daß man es
sich gegenseitig gewissermaßen erleichtert, eine
noch größere Spaltung der Positionen zu vermeiden.
Will sagen, man braucht irgendeinen Wisch, den man
vorzeigen kann und damit eine neue "Verbrüderung"
auch vor dem eigenen Volk und den
Geschichtsbüchern rechtfertigen kann. Das einzig
Wahrhaftige daran ist nur die Bereitschaft zur
Wiederanfreundung.

Nichts anderes haben die USA versucht, als sich
Colin Powell vor den UN engagiert hat. Jeder weiß:
Es war ihnen von vorneherein klar, daß weder
Rußland, noch China, und vermutlich auch
Frankreich nicht kooperieren werden. Ein einziges
Veto ist genug. Aber es war der Versuch, den
vermeindlich Verbündeten im "Kampf gegen den
Terror", die da wären England, Deutschland und der
Wackelkandidat Frankreich, den Weg innenpolitisch
zu erleichtern. "Wir haben es versucht, die UN
jedoch hat sich wieder als Versager erwiesen, nun
ist es genug." Das hätten die jeweiligen
Regierungen ihren Ländern allemal gut verkaufen
können, schaut man nur auf das Bosnien der 90er
Jahre zurück, ganz zu schweigen vom Kosovo Krieg,
bei dem die UN genauso unberücksichtigt blieb wie
bei "Iraqi Freedom". Die BR Deutschland hat jetzt
nicht nur Friedenstruppen im Kosovo stehen,
sondern sie entsandte auch zum ersten Mal in ihrer
Geschichte aktiv kämpfende Truppen ins Feld
(Tornados mit den Aufträgen SEAD = Surpression of
enemy air defense und BDA = Battle Damage
Assesment), und das unter einer
sozialdemokratischen Regierung ganz ohne
Legitimation durch die UN.

Die große Mehrheit war, ähnlich wie bei den
aktuellen Geschehnissen, gegen ein militärisches
Eingreifen im Kosovo, und erst durch die Mär vom
Hufeisenplan (="Endlösung"), Konzentrationslager
im Belgrader Fußballstadion (=Ausschwitz) ,
copyright Rudolph Scharping, waren die Deutschen
bereit, einen unbändigen autoritären,
machtbesessenen, nationalistischen
Unruhestifter, der Öl im Feuer des Balkern war und
Frieden für die Region auf lange Sicht ausschloß,
zu beseitigen und SS-artiges Vorgehen sowie
Faschismus zu bekämpfen.

(->)

"Ausgewogenheit" in den deutschen Medien

Alexander, Donnerstag, 08. Mai 2003, 14:49 (vor 7869 Tagen) @ Alexander

(Fortsetzung)

Das Absurde ist, wenn der Wille der Regierung
vorhanden gewesen wäre, hätte man Saddam Hussein
allemal als 3-fachen Milosevic und kleinen Hitler
darstellen können, was nicht mal eine Lüge gewesen
wäre und wobei in diesem Punkt sogar die breite
Zustimmung der deutschen Bevölkerung vorlag, trotz
der Zurückhaltung deutscher Medien bei der
Aufklärung über die Greultaten und Weltanschauung
des Diktators (Vernichtung Israels, pan-arabische
Allianz autoritärer Staaten unter Ausschluß des
Westens etc.).
Auch die völlige Überlastung der Bundeswehr kann
kein Argument beim Thema Friedenstruppe Irak sein,
hatte man doch noch kurz vorher die Idee zur
Entsendung tausender UN-Truppen mit deutscher
Beteiligung in den Irak ins Leben gerufen, und
damit internationale Verwirrung gestiftet.

Die Regierung war also keineswegs innenpolitisch
gefangen. Auch nicht weltanschaulich in Sachen
Militäreinsatz ohne UN und §26 GG (siehe Kosovo).
Wie sehr das Argument, man wolle Schaden vom
irakischen Volk abwenden, hinfällig wird, gelangt
dann ins Licht, wenn man sich die aktuelle Haltung
der Regierung in Sachen Stabilisierung (aka
Friedenstruppe, Übergangsverwaltung), bei der
offensichtlichen Gefahr irakischer Anarchie, vor
Augen führt.
Ferner sind die von der Koalition eingesetzten
Waffen in diesem Konflikt um einiges präziser als
noch bei der Bombardierung von Zielen in Belgrad.
Und falls es manch einem immer noch nicht bewußt
ist, die "Shock and Awe" Kampagne war ein
komplettes Fake. Man hoffte damit, im Vorfeld
soviel Unbehagen innerhalb der irakischen
Führungskreise (vor allem der militärischen) sowie
dem Volke zu verursachen, um einen Putsch der
Baath-Partei hervorzurufen. Hat wohl nicht
geklappt, denn es war wohl zu vielen klar, daß
niemand seine tatsächliche Strategie Wochen vorher
in der Weltpresse verkündet. Dem Großteils
deutscher Journalisten natürlich, bei denen die
Nicht-Beschäftigung mit militärischen
Zusammenhängen als Qualifikationsmerkmal gilt, war
das wohl nicht so klar.

Tatsächlich wurden in Baghdad dann nicht mehr
Ziele angegriffen als im Golfkrieg 91, eher
weniger, denn man hatte durch die
Inspektoren-Tätigkeit der UN eine weitaus bessere
Aufklärung für die ATO (Air Tasking Order =
Zielliste) als noch 1991. Und man ging sogar noch
weiter und startete die Luftkampagne simultan zum
Einsatz von Bodenkräften, wiederum weil man den
Bedrohungswert der irakischen Armee besser
einschätzen konnte als 1991 und Fehler von 91
vermeiden wollte (Umweltkatastophe durch in Brand
gesteckte Ölfelder, Katz-und Mausspiel
Koalitions-Luftwaffe vs. SCUD Raketen und mobile
Luftabwehr). Dadurch wurde der Feldzug extrem
verkürzt. 1991 begann der Krieg in der Nacht zum
17. Januar mit der Luftkampagne, welche ca. einen
Monat andauerte und danach erst Bodentruppen zum
Einsatz kamen, welche noch dazu nur die Befreiung
Kuwaits zum Auftrag hatten. Dieselbe Taktik 2003,
auf den gesamten Irak angewandt, hätte einen
ungleich längeren Zeitraum in Anspruch genommen
und zu weitaus mehr zivilen Opfern geführt.

(->)

"Ausgewogenheit" in den deutschen Medien

Alexander, Donnerstag, 08. Mai 2003, 14:50 (vor 7869 Tagen) @ Alexander

(Fortsetzung)

Führt man sich dieses Gesamtbild vor Augen, wird
eindeutig klar, daß die sozialistische Regierung
Deutschlands aus freiem Herzen heraus eine
äußerste kurzsichtige Kampagne gegen die sogn.
"Neo-konservative" Regierung der USA führt,
motiviert durch wirtschaftliche Gesichtspunkte,
vor allem im Hinblick auf die Zukunft Europas und
die Weltwirtschaft. Deshalb auch die geradezu
kitschige und völlig surreale Verbrüderung mit
Frankreich, die - unabhängig der amerikanischen
Regierungsform - einen Konfrontationskurs mit den
USA wünschen, wieder im Hinblick auf Europa, im
besonderen den Vorstellungen der zukünftigen
Machtposition Frankreichs. Der Irakkonflikt
eignete sich für Frankreich geradezu hervorragend
dazu, den Konkurrenten England zu diskreditieren
und auszubooten, denn das Königreich wünscht eine
Kooperation zwischen USA und Europa. Wer also
glaubt, Frankreich würde nun aus Friedensliebe
(was u.a. mit Verweis auf Afrika und den zu
Deutschland ungleich größeren Militärhaushalt
geradezu lächerlich wirkt) gemeinsam mit
Deutschland einen gemeinsamen Kurs eingeschnitten
und den Grundstein zu treuer Freundschaft gelegt
haben, hat sich unglaublich tief ins Fleich
geschnitten. Welche "Mechanismen" Frankreich für
Europa erdacht hat, tritt im Angesicht offener
französicher Drohungen gegen wirtschaftlich
schwache Beitrittskandidaten deutlich ans Licht.

Wie sieht es mit Deutschland aus? Wirtschaftliche
Probleme die, wenn nicht bald ein Ausweg gefunden
wird, noch dramatischere Folgen haben werden als
bereits jetzt. Außenpolitisch den stärksten
Verbündeten vergrault, die USA, und England gleich
mit.
Rußland hat genug eigene Probleme und ist nur im
Hinblick auf Subventionen an einem guten
Verhältnis zu Deutschland interessiert.
Somit bleibt nur noch der vermeindliche Freund
Frankreich, der sich nichts lieber als den
Quasi-Zusammenbruch einer der führenden
Wirtschaftsmächte der Welt, Deutschlands, wünschen
kann, um seine zukünftige Führungsrolle in Europa
zu behaupten. Frankreich ist der absolute Gewinner
im Irakkonflikt, und Deutschland der größte
Verlierer.

Im Moment haben die Deutschen noch Spaß dabei. Sie
lachen über den Cowboy aus Texas, seinen Sheriff
"Rumi", seinen englischen Kettenhund und den
UN-Bimbo Powell, der sich um die Drecksarbeit
kümmern muß und bei Misserflog im Weißen Haus
ausgepeitscht wird und Redeverbot bekommt.
Geradezu ein Bilderbuchklischee und schön
anti-amerikanisch, wie damals bei Roosevelt.

Aber auch hier gilt: Der letzte lacht am besten.

Grüße
Alexander

"Ausgewogenheit" in den deutschen Medien

zeus @ alexander, Freitag, 09. Mai 2003, 16:40 (vor 7868 Tagen) @ Alexander

Lieber Alexander,

nur knapp: Gute Analyse, viele wichtige
Einzelpunkte, eins rauf mit Mappe. Wünschte mir
mehr Diskussion dazu. Zu Gewinnern und Verlierern:
Ich teile ihren Fazit, Frankreich - Gewinner und
Deutschland - Verlierer nicht unbdedingt, auch
wenn Ihre Argumentation dahin straff ist. Gewinner
und Verlierer an Nationalstaaten festzumachen tut,
glaube ich, der Sache nicht mehr vollends Genüge.
Demnächst mehr...

"Ausgewogenheit" in den deutschen Medien

Alexander, Donnerstag, 08. Mai 2003, 14:56 (vor 7869 Tagen) @ Alexander

-
"Balkern" = "Balkan". Wer weitere
Rechtschreibfehler findet, auch wenn sie derartig
blöd sind, darf sie behalten ;).
-

"Ausgewogenheit" in den deutschen Medien

Bimbo, Donnerstag, 08. Mai 2003, 23:05 (vor 7869 Tagen) @ Alexander

"Zum Verhalten der deutschen Medien beim Thema
Irak
Krieg UND USA generell, möchte ich mich gar nicht
äußern. Dazu wurde schon genug gesagt, und ich
habe auch vor einiger Zeit mit Herrn Graebert (ala

"Panorama. Berichte - Analysen - Meinungen", ARD)
eine Diskussion via E-Mail geführt, die mir nur
wieder mal gezeigt hat, daß es gar nicht um den
Irak, sondern nur um Amerika geht."

Die Konversation interessiert mich. Könnten Sie
mal Auszüge davon posten?

Oder zumindest eine Beschreibung der Konversation?

"Ausgewogenheit" in den deutschen Medien

Bernd@GegenGerd, Samstag, 10. Mai 2003, 06:05 (vor 7868 Tagen) @ GegenGerd

GegenGerd schrieb:

Genau so, wie es kaum thematisiert wird, daß es
immer weniger Plünderungen, dafür mehr Strom und
Wasser gibt und derzeit auch offenbar auch keine
Massendemos.


Das interessiert Friedensbewegte nicht. Sie wollen
schreckliche Bilder sehen. Schreckliche Bilder
sind das einzige Moment, das wirklich zählt.

Sie dienen als Negativfolien für ihre eigene
Befindlichkeit.

Stör` Dich nicht dran, GG.

Positive Nachrichten sind für diese Menschen
schlecht, auch wenn sie noch so gut und sozial
sind.

Übrigens: Negative Nachrichten aus Grozny werden
sehr gerne ausgeblendet. Das könnte ja weh tun in
der deutschen Medienlandschaft. Außerdem schadet
dies der deutsch-russischen
Wirtschaftskooperation.

Schröder, Chirac und Putin müssen sich ja
schließlich auch vertragen. Deswegen auch dieser
feige Kompromiss in der UNO vor dem Krieg (Sie
nannten die amerikanische Aktion Krieg. Ich nenne
es "Befreiung für die irakischen Menschen").

Wie Du schon in einigen Threads völlig zu Recht
dargestellt hast:

Warum hat noch kein Mensch gegen den Krieg in
Tschetschenien demonstriert, der seit mittlerweile
10 Jahren andauert? Dort steht kein Stein mehr auf
dem anderen und die Menschen erleiden seit dieser
Zeit unendliche Qualen.

Ich finde es geradezu pervers, dass die
"Friedensbewegung" dieses Thema ausgeklammert hat.

Jetzt könnten sie doch endlich mal gegen diesen
russischen Krieg und gegen alle anderen
Grausamkeiten in dieser Welt ihre Stimme erheben.

Nein, sie tun es nicht.

Warum?

Weil die USA nicht daran beteiligt ist. Deshalb!

Abgesehen davon ist es sowieso lächerlich, von
einem UNO-Beschluss oder einem vom "Völkerrat"
ausgehenden Beschluss zu sprechen, wenn drei
Viertel aller Mitglieder Staaten sind, die ihre
Bevölkerung in Knechtschaft halten und auf die
schlimmste Art und Weise foltern.

Welchen Sinn hat solch eine UNO, frage ich mich?

Gruß

Bernd


RSS-Feed dieser Diskussion
powered by my little forum