Das Internet ist Mist

Alter Schmock, Mittwoch, 11. Juni 2003, 15:29 (vor 7836 Tagen)

Das Internet hat ein Problem: das Netz der Netze
ist der Welt, der wirklichen Wirklichkeit,
erschreckend ähnlich. Allein dadurch, daß eine
bedeutende Teilmenge aller Angehörigen meines
Kulturkreises untereinander verinternetzt ist,
wird das Netz zu einem Abbild ebenjener oft arg
unsympathischen Kultur. Und gerade jene Leute die
ich im unvirtuellen Leben vorzugsweise ignoriere,
weitläufig umfahre oder gezielt umfahre, scheinen
einen unwiderstehlichen Drang zu verspüren, ihre
Spuren in den digitalen Sand zu schreiben und die
Abfallprodukte ihres degenerierten Denkvermögens
der übrigen Menschheit aufzudrängen.

Nun ist Surfen im Internet ein bißchen so wie die
Obduktion des menschlichen Kollektivhirns, man
lernt zwangsläufig einiges über die arg
eingeschränkte Denkfähigkeit des homo sapiens.
Komisches, seltsames Zeug bevölkert die
Festplatten dieser Welt... sich mit everywhere´s
trash zu beschäftigen, bringt wahrscheinlich keine
wirklich wertvollen Erkenntnisse, macht aber Spaß,
ist also vergleichbar mit BigMac-Essen. Dieser
leicht fettige Lustgewinn ist Sinn dieses Textes:
ich bilde mir nicht ein, irgendetwas an den
grundlegenden Tatsachen ändern zu können. Nehmen
wir also unseren relativ hochgelegenen, warmen
Liegesessel auf dem Oberdeck dieses sinkenden
Luxus-Onliners ein, und schauen wir dem
possierlichen Gewimmel auf den niedriger gelegenen
Decks zu:




Hallo! Ich bin schreiend doof!

Dies ist die einzige Aussage vieler privater
Homepages. Homepages tummeln sich in den Nischen
der Datenmüllhalde und lassen sich mit dem
Attribut "absolut überflüssig" meist treffend
einordnen. Der bedauerliche Charakterzug "ich habe
eigentlich nichts zu sagen" spiegelt sich
zwangsläufig im vollständig fehlenden Inhalt
hirntoter Homepages wider. Unangenehmerweise
schlägt trotzdem das tiefsitzende Vorurteil durch,
nachdem eine Existenz ohne eigene Homepage so
schlimm ist wie ein Leben ohne Fernseher, also
komplett sinnlos.

Eine vergleichsweise aussagestarke Homepage hat
heutzutage eine relativ starr vorgeschriebene
Grundform, die sich durch die Verbreitung
Homepage-erzeugender Programme herausgebildet hat:
für jeden Abschnitt werden Eingaben gefordert, die
anschließend gut vermischt, programmintern verdaut
und zumindest technisch halbwegs korrekt
ausgeschieden werden. Die Bedienung solcher
Programme erfordert keinerlei Vorwissen, und so
sieht das Endergebnis dann auch aus. Und
tragischerweise greift auch hier wie fast überall
im Leben das BIBO-Prinzip: bullshit in - bullshit
out. Terror im Internet - Das Nervensägenmassaker
(die Kurzfassung):

der Name (muß zumindest blinken, da er ganz
fürchterlich wichtig ist)
das Paßfoto (grobgerastert und verschwommen;
weniger entscheidend ist, welches Foto Verwendung
findet, man erkennt eh´ fast nix, und meist ist
das auch besser so)
der Schleim ("Hallo, nett, daß Du meine Homepage
besucht hast. Ich hoffe, sie gefällt Dir und Du
schaust mal wieder ´rein. Ich liebe Dich. Und im
übrigen bis du der 75984. Besucher.")
das große Gähnen (Zeugs, das eigentlich niemanden
interessiert, wie beispielsweise weitere
biografische Daten, Sternzeichen, Körpergewicht,
Lieblingsfarbe; hier dürfen gerne auch weitere
unscharfe Fotos von Mama, Manta, Göttergattin oder
Lieblingshund eingefügt werden)
der Inhalt (entfällt im allgemeinen ersatzlos)
die Links (auf Web-Seiten, die entweder schon
jeder kennt oder die noch nie von einem Menschen
besucht wurden; führen oft ins Leere wegen
Schreibfehler, Serverausfall oder Massenselbstmord
- siehe unten)
an beliebiger Stelle: viele, viele animated GIFs
(tausendmal gesehen, inhaltlich unbegründet, aber
Hauptsache, es bewegt sich was; wirkt irre
belebend und total originell!)
Und warum in die Ferne schweifen: sieh, das Grauen
liegt so nah! Auch auf diesem Server findet der
abgebrühte Datenmasochist Stoff der härtesten
Sorte. Aber sag´ nicht, ich hätte Dich nicht
gewarnt!

Klick mich! und mich! und mich!
Die Fernsehnation am Anfang des Jahrtausends:
Werbung alle zehn Minuten, aber kein Mensch sieht
noch hin. Währenddessen: der Anteil der zu
Werbezwecken im Internet übertragenen Daten
erreicht fast 95 % der Gesamtdatenmenge. Zufall?
Oder Unfall? Abfall? Zerfall?


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