Das Internet ist Mist

Alter Schmock, Mittwoch, 11. Juni 2003, 15:32 (vor 7836 Tagen) @ Alter Schmock

Ja, die bedrohliche Bedrohung unserer ohnehin
bedrohten Gesellschaft durch Pornos im Internet
ist schon erschreckend bedrohlich. Die
BILD-Zeitung, philosophisch angehauchte
Alternative zur digitalen Verdummung, hat es an
einem freundlichen Mai-Tag mit der Titelzeile "Er
mordete im Porno-Rausch" auf den Punkt gebracht,
und wie wir spätestens seit Hans Esser wissen:
BILD lügt fast nie. Marc Dutroux hatte übrigens
keinen Internet-Account, das behauptet nichtmal
BILD, aber das sollte uns hier nicht irritieren.
Zu bedenken wäre auch, daß Cyber-Porno weder
ansteckend noch ekelhaft schleimig noch unangenehm
feucht ist, also selbst für einen
durchschnittlichen Erzbischof noch leichter zu
akzeptieren wäre als diverse konkretere Dinge, die
lüsterne Menschen anstellen können, wenn die
Hormone Macht über sie gewinnen. Andererseits geht
es um puren Lustgewinn ohne weiteren Anspruch, und
mit sowas hat der besagte Bischof schon immer
Probleme gehabt.

Nun gut. Da du, lieber Leser, sicher furchtbar
lernbegierig bist, hier noch einige Erkenntnisse,
die ich bei meinen Selbstversuchen gewinnen
konnte, und die für dein tristes Sexualleben von
Bedeutung sein könnten:

alle Menschen sehen sich nackt enttäuschend
ähnlich;
die Variationsmöglichkeiten der geschlechtlichen
Vereinigung sind weniger vielfältig als zunächst
angenommen (was mit der recht geringen Anzahl
menschlicher Körperöffnungen zu tun haben mag),
andererseits aber doch wesentlich
abwechslungsreicher, als der bereits erwähnte
Erzbischof sich dies vorstellt;
Gruppensex mit mehr als 25 Personen wird ziemlich
unübersichtlich;
man kann Sex mit diversen, in jedem gut sortierten
Haushalt vorhandenen Gegenständen haben,
alternativ aber auch mit jedem Tier ab
Dackelgröße;
meistens ist es Zuckerguß;
Sex macht doof, und:
man muß sich schon sehr anstrengen, wenn man noch
irgendwas Neues machen will. But we try. Hard.
Es leuchtet ein, daß der Reiz digitaler Pornos
eine recht kurze Halbwertzeit aufweist. Dies ist
jedenfalls nichts, worüber man sich groß aufregen
müßte, es sei denn, man ist Bundestagsabgeordneter
der CSU und hat gerade nichts besseres zu tun.

"Mr. Einstein, ich hab´ da mal ´ne Frage..."
Wenn ich hier schon ein Gemetzel veranstalten,
dann sollte zumindest auch noch das
Lieblingsargument aller "ernsthaften" Netzjünger
geschlachtet werden: das Internet fördert
Wissenschaft und Forschung, indem es den
einzelnen, isolierten Wissenschaftler mit seinen
weltweit verstreuten Kollegen verbindet. Nette
Idee. Leider falsch. Das Internet ist eine eher
kontraproduktive Veranstaltung.

Erik Brynjolfsson, Professor am MIT, stellte in
der Zeitschrift Science die Behauptung auf, daß
der Datenfluß im Netz die wissenschaftliche Arbeit
erstickt, weil der akademische Diskurs im
allgemeinen Grundrauschen des Trivialen untergeht.
Das leuchtet ein: das meiste im Internet
verfügbare Zeugs ist entweder zu speziell oder
schlichter Unsinn. Newsgroups kollabieren unter
der Masse der Beiträge, vor allem der qualitativ
minderwertigen Beiträge. Die Informationsrecherche
wird immer zeitaufwendiger, während die Qualität
des Ergebnisses immer weiter abnimmt.

Die Folge: um ihre Diskussionen nicht durch
Laienfragen stören zu lassen, findet der
Meinungsaustausch unter Wissenschaftlern zunehmend
in nicht-öffentlichen Foren statt. Der Austausch
zwischen den Disziplinen geht verloren, das Netz
fördert den Rückzug des Einzelnen in immer enger
umgrenzte Wissensgebiete. Denn es ist immer noch
besser, auf der kleinen, einsamen Insel mitten im
Datenozean zu überleben, als in ihm zu ertrinken,
jetzt, wo der anfangs erwähnte Dampfer wegen
Überfüllung sinkt. Noch einmal Prof. Brynjolfsson:
"Es reicht einfach nicht, Leute zu verbinden. Dann
reden sie noch lange nicht miteinander."

Nur zur Erinnerung: als die amerikanischen
Militärs den Internet-Vorgänger ARPAnet für
Wissenschaft und Lehre freigaben, eröffneten sich
schlagartig neue, revolutionäre Nutzungsformen für
Forschung und Entwicklung. Dem heutigen Internet
ist diese Vergangenheit nicht anzumerken.


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