"Ich bin Jürgen Fliege und es ist Krieg

UNO wieder unfähig, Montag, 26. Mai 2003, 09:25 (vor 7852 Tagen) @ Monika

Dem Missionar Jan Mol droht langsam der Glaube
abhanden zu kommen. Wenn der Geistliche über
Schlaglöcher hinweg zu seinem Gemeindehaus in
Bunias zerschossenem Zentrum stolpert, muss er
einen entwürdigenden Spießrutenlauf über sich
ergehen lassen. Schon mittags stöckeln betrunkene
Siebenjährige auf hohen Damenabsätzen um den
67-Jährigen herum, schwenken Kalaschnikows, blasen
ihm respektlos Zigarettenrauch ins Gesicht und
fuchteln vor dem "Mzungu" aus Holland drohend mit
Brotmessern und Handgranaten herum.
Diese Minderjährigen sind die neuen Herren der
Straße. Sie "morden und plündern und folgen nicht
dem Gesetz des Herrn, sondern nur noch dem der
Gewalt", hat Mol erkannt und wähnt sich schon im
Vorhof der Hölle. "Wenn hier nicht bald Soldaten
der Vereinten Nationen dazwischengehen, dann
erleben wir eine wahre Katastrophe", sagt der
Priester und verfolgt fassungslos, wie sich auf
dem Boulevard de la Libération ein Blauhelm aus
Uruguay von einem schwer bewaffneten Knirps mit
Zöpfchenperücke auf dem Kopf, Bierflasche im
Hosenbund und Brotbeutel um den Hals schikanieren
lässt. Der Holländer ist überzeugt: "Wir erleben
einen Genozid, und die Uno steht tatenlos
daneben."

Vor gut zwei Wochen haben Kindermilizen der Union
der kongolesischen Patrioten, die dem Stamm der
Hema angehören, die Kontrolle in der 300
000-Einwohner-Stadt Bunia übernommen und ihre
Widersacher vom Stamm der Lendu vertrieben, mit
Macheten erschlagen oder erschossen. Zerhackte
Leichen faulten tagelang auf den Straßen von Bunia
vor sich hin. Mol, der seit 1971 dort lebt, sieht
ein "Desaster wie in Bosnien oder Ruanda"
heraufziehen, wo unter den Augen der Welt
Hunderttausende erschlagen, erschossen und
verscharrt wurden: "Es ist das nackte Grauen."

Als das Schlachten in der Hauptstadt der
kongolesischen Region Ituri begann, hatte der
Gottesmann immer wieder versucht, die Kommandeure
der 625 Blauhelme aus Uruguay, die dort
stationiert sind, zum Eingreifen zu bewegen. Doch
als sich endlich ein paar bis an die Zähne
bewaffnete Uno-Männer auf den Weg machten, lagen
Mols Kollegen Aimé Ndjabu und François Mateso
bereits in ihrem eigenen Blut. Der eine mit
durchgeschnittener Kehle, der andere durchsiebt
von Garben aus Schnellfeuergewehren.



Um die Leichen der Geistlichen und zwölf weiterer
Opfer tobten feixend ihre jugendlichen Mörder. Sie
riefen Mol zu: "Wir werden unsere Feinde alle
töten." Die Blauhelme zogen wieder ab, um das
Verbrechen lediglich zu notieren. Sie ließen sich
zu Zaungästen des Massenmordes machen wie einst im
bosnischen Srebrenica, wo Serben-Milizen 1995 mehr
als 7500 Muslime abschlachteten.

Nach ein paar Tagen zählen die Uno-Soldaten allein
im Zentrum von Bunia bereits rund 300 Leichen. Wie
viele es insgesamt sind, weiß niemand, denn die
internationalen Friedenssoldaten wagen sich nicht
einmal im Panzer aus der Stadt heraus. "In der
Provinz Ituri leben 2,4 Millionen Menschen", sagt
Marcus Sack von der Deutschen Welthungerhilfe,
"eine Million ist auf der Flucht: Was sich in den
Bergen abspielt, ist der reinste Horror."

Erst vergangene Woche wurden die Leichen zweier
Uno-Beobachter 70 Kilometer von Bunia entfernt
gefunden. Sie waren mit Buschmessern in Stücke
gehackt worden.

Im Krankenhaus der Stadt hat Sack die Überlebenden
des "Infernos" ("The Economist") gesehen: Frauen
und Kinder mit abgetrennten Gliedmaßen und Opfer
mit Schusswunden, um die sich jetzt Mediziner der
Organisation "Ärzte ohne Grenzen" kümmern.



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