Ist Trump eine Folge von Klassenkampf?

NN, Dienstag, 08. August 2023, 12:59 (vor 472 Tagen) @ Serious Black

What if We’re the Bad Guys Here?

https://www.nytimes.com/2023/08/02/opinion/trump-meritocracy-educated.html?unlocked_art...

Wir sehen dies zum Teil ja auch in Deutschland. Jeder, der es sich leisten kann, versucht den Nachwuchs durchs Abitur, durch‘s Duale Studium oder auf die Uni zu drücken.

Offenbar anders als in den USA oder im UK, haben wir aber auch für den nicht-akademischen Mittelstand gut bezahlte Jobs. Ein großer Teil unserer Wirtschaft bildet aus und wertet die Qualifikation von Arbeitnehmern auf.

Das stimmt so nicht, in Deutschland spielt formale Qualifikation auf jeder Ebene des Arbeitsmarkts traditionell eine ungleich größere Rolle als in den USA. Und wenn es in den USA vergleichsweise mehr working poor gibt, dann ist das wohl kaum Ausfluss einer (Bildungs-)Meritokratie und hat verschiedene andere Ursachen. Auch ist der Begriff Meritokratie im Artikel merkwürdig negativ konnotiert.

In Brooks Artikel ist so viel krumm und schief, dass ich überhaupt nicht auf alles eingehen kann. Hier schreibt jemand, der unbedingt eine recht platte klassentheoretische These stark machen will ohne dabei andere, gegenstrebige Aspekte zu berücksichtigen.

Was zutrifft, ist, dass das US-Universitätssystem ungleicher und elitärer ist als das in Deutschland. Die USA sind hier in der Spitze stark, wir sind es in der Breite. Aber das ist auch nicht neu. Vergleicht man jedoch die höhere Bildung in den USA mit den britischen Elite-Internaten und Universitäten oder der französischen ENA, dann haben die USA eine außerordentlich breite Elite. So ist in Brooks Artikel erst die Rede davon, dass 0,8% der Absolventen auf 12 (erweiterten) Ivy-League-Universitäten waren. Im nächsten Absatz sind es dann 29(!) Universitäten, die tatsächlich oder vermeintlich einen elitären Club bilden.

Im Rahmen von klassentheoretischen oder auch etwas weniger hermetischen sozioökonomischen Thesen ist Kultur immer nur Ausfluss von gleichsam materiellen Begebenheiten und besitzt keinerlei Eigendynamik. Und das ist ziemlicher Quatsch. In Kenntnis von ostdeutschen Begebenheiten würden wir ja jedem mehr oder weniger den Vogel zeigen, der uns die Wahlerfolge der AfD immer noch mit ärmeren Ossis und einer schlechten Sozialpolitik erklärt.

Z.B. Technische Angestellte steigen mit 18 Jahren schon bei mindestens 2.800 EUR brutto ein und haben noch viel Luft nach oben.
Es braucht dennoch ein Mindestmaß an Grips und Fähigkeiten.

Aber was ist mit den anderen? Als Friseur/in kann man von diesen Gehaltsstufen nur träumen. Wen wundert es, dass uns Handwerker fehlen?

Wo lebst du bitte? Angestellte Friseure verdienen seit jeher wenig. Die Lohnentwicklung bei angestellten Handwerkern in klassischen Gewerken ist seit Jahren positiv, nicht zuletzt deshalb, weil es weniger Nachwuchs gibt und auch die Migration in diesem Bereich den Mangel an Arbeitskräften nicht ganz hat ausgleichen können.

Mal ganz zu schweigen vom Wohlstand selbstständiger Handwerker mit Meisterbrief. Ich bin in einem gutbürgerlichen Vorort von Köln aufgewachsen, die örtlichen Handwerker waren alle wohlhabend und angesehene Mitglieder der Gemeinschaft. Aus diversen Gründen, die ich mir nicht alle komplett erklären kann, ist das Handwerk in Verruf geraten. So verdienen die meisten Handwerker mehr als der Typ mit Abschluss in Medienwissenschaften, Germanistik und Geschichte, der bei Zeit-Online angestellt ist und sich über prekäre Jobs beklagt.

Hat die Entwicklung zur modernen, hoch-spezialisierten Gesellschaft zu viele (weniger bildungsaffine) Menschen abgehängt? Bekommen deshalb Populisten von Höcke bis Zarenknecht so viel Zulauf?

Springen wir mal wieder zurück in die USA. Die Leute, die auf die Trump-Rallys gehen, wirken meistens relativ arm. Was Trumps Wählerschaft insgesamt angeht, ist dies jedoch empirisch nicht haltbar. So hat u.a. Hillary Clinton 2016 die Wählerschaft mit einem Einkommen unter $50000 im Jahr klar gewonnen.

Dann haben wir in den USA einen signifikanten Stadt-Land-Graben, der sozioökonomisch eben nicht einfach in reich --> arm übersetzt werden kann, West Virginia ist nicht die einzige ländliche Region. Und wir haben dort schon lange eine vergleichsweise ausgeprägtere sozialräumliche Differenzierung, gipfelnd in Gated Communities. Und mehrheitlich republikanisch und heute Trump wählende Rentner bevölkern schon länger Florida. All das ist nicht neu.

Neu ist gleichwohl, dass sich das Wahlverhalten von Akademikern und Nicht-Akademikern in den USA geändert hat. In deutlicher Weise aber erst seit 2016. Das heißt aber auch: Personen mit republikanischem Background sind zu den Demokraten gewechselt. Aber weil sie so elitär sind?


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