Warten auf die Gegenoffensive NachNachtrag

NN, Mittwoch, 14. Juni 2023, 18:11 (vor 505 Tagen) @ Alex

Mein Blickwinkel ist meinem 68er Background geschuldet, all die großmäuligen damaligen Elitenkids brabbelten vom Sozialismus, Systemänderungen und Weltverbesserung und zogen mit ihrem mit der Muttermilch eingesogenen Selbstbewusstsein eine Horde von Mittelstandskids in ihren Bann, deren abgewichstesten Figuren letztendlich in der RAF endeten, während die damaligen Sprösslinge der Deutschland-AG jenseits der 35 mit Papas Hilfe Karriere machten, gut ausgebildet waren sie ja, oder sich gleich auf ihr Erbteil zurückzogen.
Die gleiche Nummer läuft gerade mit den Klimaaktivisten und solchen Größen wie Greta und Luisa.
Statt mit ruhiger Hand die sinnvollen Klimaziele weiter zu verfolgen und mit für die Mehrheit aushaltbarer Geschwindigkeit Veränderungen anzustreben, trifft sich ein Wissing mit Klimaklebern und die großmäuligsten Aktivisten landen bei Maischberger.

Vielleicht aber ist das Umarmen der Hosenscheißer-Fraktionen jedweder Ausrichtung auch richtig und die permanente Verhätschelung jeder Art von Minorität auch nur Ausdruck einer bösartigen Entwaffnung renitenter Berufsjugendlicher.
Wer weiß das schon.:-D

Also, Luisa und möglicherweise auch Greta (wobei ich das wirklich nicht weiß) sind nüchtern soziologisch betrachtet wirklich Eliten-Sprösslinge.

Aber es kann als blühender Unsinn gelten, dass zur 68er-Zeit die Elitenkids eine Horde von Mittelstandskids ideologisch verführt und/oder in den Extremismus getrieben hätten. Es sei denn, du willst Tom Koenigs zum Dreh- und Angelpunkt des deutschen Nachkriegs-Linksextremismus aufblasen. Dazu sollte man wissen, dass sich in unterschiedlichen Dekaden nach dem Zweiten Weltkrieg unterschiedliche Extremismen in unterschiedlichen Gegenden aus der Mittelschicht heraus entwickelt haben. Das gilt sowohl für deutsche RAFler oder K-Grüppler, ägyptische Muslimbrüder* als auch für einen großen Teil der amerikanischen Trumper, auch wenn hier die Akademikerquote etwas geringer ist.

Blühender Unsinn?
Ich weiß ja nicht, wie alt Du tatsächlich bist, aber ich war live dabei, als die Elitensprößlinge den Mittelstand „verführten“. :-P
Wobei selbstverständlich ein humanistisches Gymnasium im Hochtaunuskreis zwangsläufig nur ein räumlich eingeschränktes Blitzlicht auf die damalige Dynamik zulässt.
Allerdings war in den 70ern das Rhein-Main-Gebiet the place to be für die großen politischen Auseinandersetzungen und von daher war der „Raum“ nicht gerade klein (und ich mittendrin).

Eliten war übrigens nicht nur der Geldadel und die damaligen Entscheidungsträger der Gesellschaft, sondern auch die intellektuelle Elite, die finanziell zwar „nur“ solider Mittelstand waren, aber in der 68er Bewegung den Ton angaben.
Wieviele der späteren RAF rekrutierten sich aus diesem Gesellschaftssegment.
Mal abgesehen von der abartigen Susanne Albrecht, die Ponto auf dem Gewissen hat.
Der von Dir angeführte Tom Koenigs war da tatsächlich eine Ausnahme, denn im Gegensatz zu den allermeisten der Radaubrüder seiner Klasse, hat er wirklich an den sozialistischen Scheiß geglaubt, hat sein Vermögen irgendwelchen Befreiungsgruppen (unter anderen dem Vietkong) gespendet und vermutlich auch arglos den damaligen Terrorismus der PLO und ähnlicher Schwachköpfe befördert.

Die Attitüde der von Haus aus vor asozialen Selbstbewusstsein strotzenden Richies, die ihr aktuelles Äquivalent in Luisa und Konsorten haben, traf auf dankbare, eher mittellose Weltverbesserer, die ihren altersbedingten Kapitalismushass sowohl bei Vorlesungungssprengungen und Hausbesetzungen austobten, deren Aftershow-Parties aber ohne das Geld der reichen Großmäuler nie deren Qualität erreicht hätten. Eine schöne Zeit.

Der Punkt ist, dass die eher mittellosen und die Arbeiter- bzw. Arbeiterkinder beim deutschen Linksradikalismus / Linksextremismus Ende der 60er und zumal der 70er eben nur selten mitgemacht haben; das Arbeiterkind Bommi Baumann war hier eine große Ausnahme und du weißt genauso gut wie ich, dass die Arbeiter in den Betrieben mit den K-Grüpplern, die sie agitieren wollten, nichts anfangen konnten.

Deine biographischen Erfahrungen im Hochtaunuskreis mögen nun real sein, aber ich denke, ich bin nicht allzu pingelig, wenn ich an deinem etwas ausufernden Eliten-Begriff und einer doch sehr steilen Verführungsthese etwas auszusetzen habe.

Letztendlich ging es in meiner Polemik aber nur um das Phänomen des Einforderns des Wassertrinkens, während man im reiferen Alter gerne in den Weinkellern der Altvorderen privatisierte, während die mit weniger Mitteln gesegneten Kampfgenossen entweder im Knast verschimmelten oder auf ihre alten Tage von Grundsicherung leben müssen und im vollen Kopp gerne die alten Parolen grölen…

Wasser predigen und Wein trinken kann man nun kritisieren, aber soziodemografisch betrachtet war der der deutsche Linksradikalismus / Linksextremismus der 70er weit überwiegend ein Mittelschichtsphänomen. Die allermeisten Beteiligten konnten es sich (zumindest zeitweise) leisten großen Quatsch zu machen. Viele K-Grüppler hatten übrigens normale bürgerliche Berufe, irgendwer musste den Unsinn schließlich finanzieren.

Wichtig ist auch, nicht zu vergessen, dass damals wie heute nur ein eher schmales Segment der jeweiligen Alterskohorte für die Auswüchse verantwortlich gemacht werden kann. Die Menge der „Verführten“ war also überschaubar.

Es macht vor allem Sinn, zwischen der Willy wählenden 68er-Generation und der 68er-Bewegung zu unterscheiden. Letztere wird auch zumindest quantitativ überschätzt, der SDS hatte zu Spitzenzeiten 3000 Mitglieder, die Demos Ende der 6oer hatten eine eher überschaubare Teilnehmerzahl. Umso krasser waren im gegebenen Zusammenhang die 70er - Gerd Koenen schätzt, dass ca. 100.000 Personen die K-Gruppen inkl. Hochschulgruppen durchlaufen haben.

Damals wie heute sitzen die Multiplikatoren für irre Weltverbesserungsideen in den Redaktionen, der gesellschaftliche Diskurs wird eher aus dem Hinterhalt geführt. Siehe Gender-Sprech. Grins.

Rückblickend betrachtet könnte man den deutschen Linksradikalismus nach 68 sozial etwas upgraden und ein kleines bildungsbürgerliches Siegel verleihen, da Ende der 60er und in den 70ern Abitur und ein häufig zumindest begonnenes Hochschulstudium noch weniger selbstverständlich waren als heute.

* Bin Laden war ein saudisches Elitenkid. Aber auch für Islamistens bis zum IS gilt: Die weit überwiegende Mehrheit sowohl der Akteure als auch der Anhänger dieser Ideologie ist den Mittelschichten entsprungen.

Mitglieder von Eliten woll(t)en meistens die Gesellschaft nicht völlig umkrempeln und Arbeiter und Arme sind zu sehr mit ihren materiellen Belangen beschäftigt. Insoweit ist der heute gerne gebrauchte Begriff der Wohlstandsverwahrlosung relativ stichhaltig.


D‘accord.


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