True Brexit Fun, vorläufige Analyse

NN, Freitag, 08. Oktober 2021, 21:41 (vor 929 Tagen) @ Serious Black

Man kann sagen was man will, aber sein politischer Instinkt ist Johnsons größtes Talent!

Boris Johnson’s ‘high wage’ agenda is taking the wind out of Labour’s sails


https://www.theguardian.com/commentisfree/2021/oct/07/boris-johnsons-high-wage-agenda-l...

Es steht zu befürchten, dass Otto-Normalverbraucher voll drauf reinfallen wird.*

Das löst zwar das Problem an sich nicht, blockiert aber eine Bresche die unter normalen Umständen Wähler zu Labour abwandern lassen müsste.

Falls jedoch Weihnachten so schlimm wird wie befürchtet, mag selbst BoJo nicht mehr ausreichen um das Desaster schönzureden.

Aus dem Artikel, der im gegebenen Zusammenhang unpräzise ist:

Traditionally, Labour would have much happier suggesting that Britain has lessons to learn from Germany’s economic model, but Johnson thinks the people who provided him with his 80-seat majority in 2019 are turned off by free-market economics and will support a party that offers higher wages, better railways and more money for the NHS.

[...]

Yet Johnson clearly thinks this is a gamble worth taking. His aim is to cement the reshaping of British politics that has been under way since the Brexit vote in 2016. The prime minister thinks he has hit on a winning formula with an interventionist, left-of-centre approach to the economy and a tough right-of-centre approach to law and order, immigration and culture wars.

Das deutsche Modell mag gemessen am britischen Modell, ab der Thatcher-Ära, left-of-centre (gewesen) sein. Interventionistisch bzw. protektionistisch war es gemessen an den jeweiligen historischen Umständen nach dem Zweiten Weltkrieg nie.

Darüber hinaus ist die interventionistische bzw. protektionistische Wirtschaftspolitik durch den Brexit eben nicht per se left-of-centre. So lehrt zunächst ein Blick in die britische Geschichte des 19. Jahrhunderts, dass die Tories damals die Protektionisten waren, weil sie die Großagrarier auf Kosten des kleinen Mannes gegen Getreideimporte (vor allem aus den USA) schützten. Das mag nun ein tieferer Griff in die Geschichte sein, aber auch nach dem Zweiten Weltkrieg haben Regierungen unterschiedlicher Staaten, die man mitnichten oder nicht ohne weiteres left-of-centre einordnen kann, eine interventionistische / protektiinistische Wirtschaftspolitik betrieben. Spontan fällt mir die katastrophale, bis heute folgenreiche Wirtschaftspolitik des populistischen Faschistenfreunds Juan Peron ein.

Lange Rede, kurzer Sinn: Wenn im Europa nach dem Zweiten Weltkrieg häufiger links der Mitte ein Interventionismus / Protektionismus, der mit der Marktabschottung durch den Brexit vergleichbar ist, gefordert oder mitunter in Ansätzen praktiziert wurde (was für EG-Mitglieder eher schwer war), folgt daraus eben nicht, dass dies eben per se left-of-centre ist.

Großbritannien trat, wenn ich es richtig im Kopf habe, 1973/74 unter dem konservativen Premier Heath der EWG bei. Die Verhandlungen begannen, soweit ich weiß, unter seinem Amtsvorgänger Wilson, der ihm 1974 wieder nachfolgte. Auf Wilson folgte, bis zu Thatcher, James Callaghan. Die damaligen EWG-(Beitritts)-Kritiker gehörten zum linken Rand der Labour Partei.


* Inwieweit Otto-Normalverbraucher darauf reinfallen wird oder gewillt ist, darauf reinzufallen, weil er (auch) für den Brexit gestimmt hat und sich keinen Fehler eingestehen will, hängt meines Erachtens von zwei Faktoren ab:

1. In welcher Branche er arbeitet. Auf Lohnsteigerungen unterhalb der Inflationsentwicklungen kann man sich ein Eis backen, ganz blöd würde es, wenn der Lohn im öffentlichen Dienst kaum steigt.

2. Inwieweit es weiter Knappheiten geben wird, die in das alltägliche Leben und / oder in den alltäglichen Konsum eingreifen.


Es mag nun Hardcore-Brexiteers bzw. Tories geben, die sich durch nichts beirren lassen (werden / würden), aber der Zuspruch zu Johnson und den Tories wird insgesamt schon mit den skizzierten Faktoren stehen und fallen.

Nach den mir bekannten aktuellen Umfragen haben Labour, LibDems und Greens (abgesehen von der SNP und Plaid Cymru) momentan eine Mehrheit der Wählerstimmen. Wenn sie sich abstimmen und sich gegenseitig keine Sitze mehr streitig machen würden, könnten sie ihre akkumulierten Stimmen mit höherer Wahrscheinlichkeit entsprechend in Sitze ummünzen.

Last but not least hat der Artikel natürlich einen Punkt, wenn darauf hingewiesen wird, dass der Zuspruch für Labour selbstverständlich auch an der Güte es Messagings von Labour abhängt. Gegen signifikante Lohnsteigerungen in Sektor A lässt es sich sicher schwer anstinken. Gegen (zu) geringe Lohnsteigerungen in Sektor B und/oder gegen (zu) hohe Inflation lässt es sich hingegen einfach anstinken.


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