Was für ein Elend...

NN, Donnerstag, 05. Oktober 2017, 19:14 (vor 2418 Tagen) @ Alex

Momentan boomt der Laden. Und damit fließen auch genügend Gelder in Form von Steuereinnahmen.
Sollte das durch die Umbrüche in der Technologie vorübergehend ein Ende finden, wird es zu Veränderungen im System der Transferleistungen kommen müssen.
Auch weil die Kosten für die innere Sicherheit steigen werden. Ein Teil des Phänomens Wohlfahrtsstaat...
Und die Demographie?
Die Einwohner Deutschland werden in den nächsten Jahren nicht weniger, sondern mehr werden.
Gestrige Veröffentlichungen gehen von 83 Millionen in den nächsten Jahren aus.
Geburtenstarke Jahrgänge sind bestimmt nicht der Grund dafür.

https://www.iwd.de/artikel/83-millionen-einwohner-in-deutschland-284154/

Ich möchte nun keine Probleme und Konflikte kleinreden, aber das gleichsam automatische Ende des Sozialstaats in seiner heutigen Form vermag ich daraus immer noch nicht abzuleiten. Was selbstredend nicht heißen soll, dass es in meinen Augen keine unsinnigen Sozialtransfers gäbe oder ich in Armutszuwanderung kein Problem sehen würde.

1. Zur EZB-Studie (über die hatte ich andernorts schonmal diskutiert): Sie zeigt einerseits mehrere interessante Aspekte auf, andererseits ist sie mit Blick auf tatsächlichen Wohlstand oder tatsächliche Armut in Europa aus den im Artikel selber angeführten Gründen nur bedingt aussagekräftig.

Ein Aspekt, der die durchschnittlich relativ geringen Vermögen in Deutschland erklärt, bleibt hier übrigens außen vor: 40 Jahre Sozialismus. Die Westdeutschen hatten 40 Jahre mehr Zeit, Vermögen (kleinere, mittlere, größere) aufzubauen und auch weiterzugeben. Oder sagen wir es so: Ein knappes Viertel der Bevölkerung hat nicht Omas Häuschen (als Chiffre für kleine und mittlere Erbschaften) geerbt und wird es auch nicht erben - und wenn doch, dann ist es im Durchschnitt weniger wert.

Das ist doch Quatsch.
Die Ossis haben ihre reichlich vorhandenen Sparguthaben eins zu eins umgetauscht bekommen, Häuser wieder erworben oder überlassen bekommen.
Das kann es nicht sein.

Vielleicht hätte ich besser schreiben sollen "ein Aspekt unter mehreren, der die deutsche Vermögensstatistik etwas vermiest", aber deine Angaben stimmen so einfach nicht:

1. "Da die Möglichkeiten zum Konsum stark begrenzt waren, hatten die Ost-Bürger relativ viel Geld auf der hohen Kante. „Um 1989 waren es pro Person durchschnittlich mehr als 10.000 DDR-Mark“, sagt Wehber. Im Westen lag das Pro-Kopf-Vermögen zur gleichen Zeit bei rund 45.000 D-Mark. „Zu bedenken ist dabei aber, dass die Vermögensverteilung im Westen ungleicher war als in der DDR“, so der Sparkassenhistoriker.

Mit der Währungsunion konnten DDR-Bürger ab Juli 1990 ihre DDR-Mark im Rahmen bestimmter Freibeträge eins zu eins gegen D-Mark tauschen. Darüber hinaus galt ein Wechselkurs von eins zu zwei. Um eine D-Mark zu bekommen, mussten also zwei DDR-Mark eingetauscht werden."

http://www.wiwo.de/politik/deutschland/geldanlage-in-der-ddr-millionaere-waren-nicht-er...

Der Genauigkeit halber die Freibeträge (Wiki):
2000 M für Kinder bis einschließlich 14 Jahre (Stichtag war dabei der Tag der Währungsunion)
4000 M für Erwachsene
6000 M für Rentner über 60

Überflüssig zu erwähnen, dass ein hoher Anteil der umgetauschten DDR-Sparvermögen in den Konsum gingen.

2. Die Grundbesitzquote in Ostdeutschland ist nicht nur niedriger*, die Grundstücke bzw. Immobilien haben im Durchschnitt einen geringeren Wert als in Westdeutschland (eingedenk der Tatsache, dass es natürlich auch in Westdeutschland strukturschwache und strukturschwächere Regionen gibt, in denen Grundstücke bzw. Immobilien einen geringeren Wert haben als in Ballungsgebieten).

Daraus folgt übrigens auch, dass es in verhältnismäßig vielen Regionen Ostdeutschlands ökonomisch betrachtet keinen Sinn macht, eine Wohnimmobilie zu erwerben bzw. bauen. Mit den relativ geringeren Mieten fährt man besser als mit einem Immobilienkredit. (Ich weiß das, weil ein alter Freund von mir aus Köln, der in einem "mittleren" Teil von Sachsen lebt und arbeitet, feststellen musste, dass es keinen Sinn macht, den Erlös aus dem über die Jahre stark im Wert gestiegenen Häuschen seiner verstorbenen Kölner Arbeiter-Eltern in eine Wohnimmobilie für seine sächsische Familie zu investieren.)

*Auf die Schnelle ein paar veraltete Zahlen, wobei ich davon ausgehe, dass die Ost-West-Lücke eher größer als kleiner geworden ist:

"Grundbesitzquote in Ostdeutschland mit 39 Prozent deutlich niedriger als in Westdeutschland (50 Prozent)."

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/immobilien/privater-immobilienbesitz-die-haelfte-...

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In anderen europäischen Ländern ist die Grund- bzw. Immobilienbesitzquote höher als in Deutschland. Was aber nicht zwingend höheren Wohlstand bedeutet (wenn zumal das Durchschnittseinkommen bzw. die durchschnittliche Rente unter deutschem Niveau liegt).

Ein weiterer, insgesamt weniger relevanter, aber dennoch erwähnenswerter Aspekt ist das durchschnittlich schlechte Spar- und Geldanlageverhalten der Deutschen. Immer noch lassen zu viele Deutsche (darunter auch kaufmännisch gebildete Personen) Geld, das sie auf absehbare Zeit nicht investieren oder verkonsumieren wollen, auf Festgeldkonten verschimmeln, anstatt es in Finanzprodukte zu investieren.

Die Franzosen etwa sind bekanntlich nicht unbedingt ein kapitalistisches Volk, aber die Aktiensbesitzquote ist in Frankreich doppelt so hoch wie die in Deutschland. Wenn ein franzöischer Bauer ein Feld verkauft hat, dann kauft er sich vier Aktien französischer Konzerne und lässt sie einfach lange Jahre liegen. Viele Deutsche, die man nicht arm nennen kann, machen mit ihrem Sparvermögen dagegen nichts, regen sich lieber über die niedrigen Zinsen auf und erinnern sich (meistens) zu optimistisch an das gute alte Sparbuch.

Es ist sicherlich lobenswert, dass die Frenchies doppelt so viele Aktien haben wie die Deutschen.
Aber selbst das ist immer noch wenig und erklärt nicht den großen Unterschied bzw. Abstand.
Es bleibt den Deutschen einfach zu wenig vom Brutto.
Du bist mit keinem Wort auf die hohe Steuerlast eingegangen.
Der ausufernde Sozialstaat ist sicher ein Grund dafür.


Ich würde überhaupt nicht bestreiten wollen, dass vor allem die Abgabenquote in Deutschland relativ hoch ist (bei der Steuerquote liegt Deutschland irgendwo im Mittelfeld der Industrieländer) und dass auch dies selbstverständlich die Statistik erklärt. (Was wiederum nicht heißen soll, dass es sinnvoll wäre, auch oder vor allem die Steuern etwas zu senken.)

Symptomatisch im gegebenen Zusammenhang: Untergangsprophet Roland Tichy, der lange Zeit Publikationen herausgegeben hat, in denen auch erklärt wurde, wie man jenseits des Sparbuches konservativ etwas Geld anlegen kann, verkündet im Fernsehen, das der deutsche Sparer verloren und die EZB unser Unglück ist.

Auf Tichys Plattform gibt es interessantes zu lesen, man muss nicht unüberprüft übernehmen .
Und was den Aktienkauf betrifft, so bedarf es schon eines gewissen Grundwissens über die Funktionsweisen von Börsen.
Wer das nicht wissen will oder nicht begreifen, der gieht zu Fonds und fiällt nicht nur in Deutschland ziemlich oft auf‘s Maul.
Das prägt.
Es gibt leider keinen deutschen Buffett...

Aber das ist doch symptomatisch. Beim Erwerb von anderen höherwertigen Gütern (Autos, Computern, Fahrrädern, Wohnungen) wird in Deutschland ein größerer intellektueller und zeitlicher Aufwand betrieben als bei Finanzprodukten. Da wird mit X Leuten gesprochen, man geht in mindestens zwei Läden, kauft Fachzeitschriften und googelt.

Bei Finanzprodukten regiert dagegen die German Angst. Grüne Studienräte verballern ihre Kohle in Prokon-Genussrechte, der Wutbürger zieht sich Scharlatane wie Dirk Müller rein.

Das Verhalten changiert so mitunter irgendwo zwischen faul, ängstlich und ziemlich irre.

Und ich lege hier mitnichten die Maßstäbe eines elaborierten Hobby-Wertpapierhändlers an.

Ein Silberstreif am deutschen Spar- bzw. Anlage-Horizont ist, dass mehr Leute in ETFs investieren anstatt in Fonds.

2. Zum IWD-Link: Was an sich an einer steigenden Einwohnerzahl der Bundesrepublik Deutschland problematisch sein soll, ist schleierhaft; dass Armutszuwanderung (oder genauer: Zuwanderung in die soziale Sicherung) ein Problem ist, habe ich ja gesagt. Die Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland bestand und besteht allerdings mitnichten nur aus Armutszuwanderung. Darüber wird im Allgemeinen nicht so viel geschrieben.

Bist du jetzt unter die beknackten AfDler gegenagen, die glauben, dass ein Deutschland mit 65 Millionen Einwohnern mehr durchschnittlichen Wohlstand bedeuten könnte?

Manchmal bist Du echt ziemlich dämlich und unterschätzt Deine Diskussionspartner, während Du selbst die Klippen Deiner Argumentation umschiffst. Es ging doch nicht um die Gesamt Einwohnerzahl, sondern um die Summe der Empfänger gegenüber den Erbringern.
Und da zeigt sich anscheinend ein Missverhältnis und dieses bedroht den Wohlfahrtsstaat und nicht die Anzahl der Einwohner.
Völlig unabhängig, wieviel Armutszuwanderung wir tatsächlich haben, wird es angesichts der Qualifikationen der Migranten eine weitere Verschiebung geben hin zu noch weniger Erbringern.
Du musst das nicht so sehen, ich befürchte es jedenfalls.

Wenn du willst, können wir gemeinsam mal nach ein paar Daten gucken. Etwa in den letzten Migrationsbericht, in dem auch Zuwanderer erwähnt werden, die eben nicht aus dem Mittleren Osten kommen. Irgendwo habe ich auch mal nach nationaler Herkunft (EU-Staaten) aufgeschlüsselte Beschäftigungsquoten gelesen.

So gäbe es eine bessere Basis für Befürchtungen oder deren Relativierung.

Last but not least sollte in diesem Rahmen der demografische (Alters-)Wandel mit einbezogen werden.

Mir als Person kann das absolut wurscht sein, ich werde nicht darunter leiden.
Und was die beknackte AFD betrifft, Du weißt genau, dass meine ausgewiesene Putinophobie und meine Haltung zur Globalisierung meinen politischen Standort ausmacht und das lässt meine AFD Sympathie eher fragwürdig werden.
Allerdings nervt mich das AFD Bashing mittlerweile exakt so wie das Trump Bashing.
DAS ist einfach beknackt.

Vor allem ist Trump beknackt, und wir können froh sein, wenn das alles glimpflich ausgeht.


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