Echt schlechte Nachrichten

NN, Dienstag, 23. Februar 2021, 20:21 (vor 1182 Tagen) @ Boothby

Das Motiv für dieses Overengeneering liegt wahrscheinlich nicht allein in den gewohnten Abläufen des korrekten Verfahrensstaates begründet, sondern auch in der Angst von politischen Entscheidern, dass sich nachher irgendjemand beschwert, es könnte ja irgendwo ungerecht zugehen.


Man kann sicher davon ausgehen, dass das Vertrauen politischer Entscheider in die öffentliche Kenntnis bspw. marktwirtschaftlicher Preiselastizitäten eher gering ist, und dass das sehr wohl Thema werden würde ("sie stecken die Asche den Buddies in der Pharmazie zu bla bla").

Dafür sprechen evtl. auch die Kontrollgruppen USA/UK. Dort wurden richtigerweise die Bazookas ausgepackt, aber warum? Ein ausgesprochenes Gefühl der Dringlichkeiten lag seitens der jeweiligen Admin nicht vor, das zeigt der Blick auf's gesamte Krisenmanagement.

Verwegener Vorschlag: Die haben richtig gehandelt, weil hier die zuständigen Technokraten auf Fed-Ebene mehr oder minder in Eigenregie handeln konnten. Es gab es niemanden, der an Kontrollen diesbezüglich interessiert gewesen wäre, und wichtiger: Es gab überhaupt keinen zusammenhängenden öffentlichen Diskurs darüber, der öffentliche Auftritt war ein völliges Chaos, dominant war vollständig das tagesaktuelle Geschehen; entweder war es wegen Kritik daran oder beschwichtigende Propaganda.

Ein Bekannter von der Insel meinte mal, der psychosoziale Stress *darüber* wäre das größte alleinstehende Problem der Bevölkerung im UK.

Wir können umgekehrt wohl davon ausgehen, das selbige Technokraten, die in der EU das fachliche Know How verwalten, einiges von den Repräsentativen zu hören gekriegt haben werden, wenn die sie zu beraten hatten.

Das gilt selbstredend alles eher für Beschaffung als Verteilung. Bei letzterem scheint mir die realiter größere Panik vor dem Virus selbst bzw. der ungeordneten Ignoranz von Teilen der Bevölkerung größeres Mobilisierungspotenzial zu ermöglichen als die relativ größere Genervtheit bzügl. des Lockdowns in D. Zuzüglich zu der im Krisenfall nun mal sinnvollen zentralen Entscheidungsbefugnisse.

Diese Interpretation wird mMn. auch durch die unterschiedlichen kollektiven Grundverfasstheiten in dem für die Vorbereitungen wesentlichen Zeiträume gestützt: In D war es im Sommer nahezu, als gäbe es keine Hygieneprotokolle mehr, während in UK/USA mit einer öffentliche Polarisierung vor dem Herrn (entweder mit dem Zählen von Bodybags oder umgekehrt wirre Rechtfertigungen bezüglich eines Hoax etc.) beschäftigt war.

Das lässt sich auch daran absehen, dass nicht nur EU-Strukturen hinderlich sein können, sondern auch auf deutscher Ebene die förderale Struktur, die im Vgl bspw. zu USA völlig anders geartet ist: Katastrophenmanagement ist dort selbstverständlich Sache der Feds, deshalb lautete die Kritik anders als in D weniger, dass man sich *zu sehr* einmische, sondern umgekehrt *zu wenig*.

Das erscheint mir auch wegen der Nachbearbeitung der Krise wichtig. Ich gehe definitiv davon aus, dass europäische Seuchenschutzprotokolle eingeführt werden, die vor Covid undenkbar gewesen wären.

Es kann ja jeder darüber reden, worauf er gerade Bock hat, aber worüber redest du alles?

Ich bezog mich jedenfalls auf den - drängenden! - Umstand, dass a) in Deutschland bzw. in den Bundesländern b) vorhandener Impfstoff c) zu wenig in den Armen ankommt und d) die Gefahr droht, dass mit einer steigenden verfügbaren Impfstoffmenge im Verhältnis nicht mehr oder sogar noch weniger dortselbst ankommt. Und e) bezog ich mich darauf, woran das liegt.

Dies bestätigt mich wiederum in meiner Annahme, dass es Befürchtungen gibt, dass es ungerecht zugehen und sich einzelne Personen und Gruppen gewaltig beschweren könnten:

Herr Professor Mertens, viele Deutsche sind nicht zufrieden damit, wann sie mit der Corona-Impfung dran sind.

- Das kann man wohl sagen. Mein E-Mail-Postfach quillt über. Seit Wochen erreichen mich und andere, die mit der Priorisierung zu tun haben, Forderungen von einzelnen Menschen und Gruppen, sie in eine „höhere Priorisierungsstufe“ einzuordnen.

Ist das nicht das gute Recht der Leute?

- Natürlich, aber der Ton macht die Musik. Ich will es mal so sagen: Es gibt sachliche und anspruchsvolle Argumentationen, aber die Ansprüche werden manchmal auch sehr emotional und nicht selten überaus fordernd vorgetragen. Man kann ja über alles reden. Mich wurmt aber, dass viele Menschen Solidarität so verstehen, dass sie oder ihre Gruppe etwas bekommen. Die zweite wichtige Seite der Solidarität bleibt dabei unberücksichtigt, nämlich dass man auf etwas verzichtet zugunsten anderer.

https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/stiko-vorsitzender-corona-impfstoff-kann-nic...


In Berlin erzählt man sich, dass Heiko Maas auf Auslandsreisen geradezu gehänselt wird, weil er als deutscher Minister noch nicht geimpft sei. Mitleidige Gastgeber sollen ihm angeboten haben, sich kurzerhand vor Ort impfen zu lassen, aber Maas habe abgelehnt, aus Angst, in Deutschland gekreuzigt zu werden für solchen Frevel an der hochheiligen Impfreihenfolge.

Die Kanzlerin und ihre Minister stellen sich also aus Furcht vor öffentlichem Impfneid hinten an, ich halte das für ganz falsche Bescheidenheit und für wenig selbst- oder rollenbewusst. Angela Merkel hat einen Eid geschworen, Schaden vom deutschen Volke abzuwenden, und das geht nicht, wenn man mit einem Schlauch im Hals auf der Intensivstation liegt. Es ist geradezu schizophren, Angela Merkel erst in der dritten Prioritätsgruppe dranzunehmen: Wir vertrauen der Kanzlerin das Land an und zahlen ihr dafür ein stattliches Gehalt. Wir lassen sie rund um die Uhr von Spezialkommandos der Polizei bewachen und in stark gepanzerten Limousinen durch die Gegend fahren, damit sie sicher ist. Aber vor Corona schützen wollen wir sie nicht – weil nicht geimpft sein kann, wer nicht geimpft sein darf?

https://www.spiegel.de/politik/deutschland/corona-impft-endlich-die-kanzlerin-kolumne-v...

Ich sehe nun den Fallstrick, den Blome lächerlich macht. Aber es wäre schon Ausdruck von kreativer politischer Führung, wenn ein oder mehrere politische Spitzen sich jetzt mit AstraZeneca impfen lassen würden.


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