Die Schimäre des Völkerrechts

Zeus (Teil 2), Mittwoch, 23. April 2003, 15:55 (vor 7671 Tagen) @ Zeus

Man könnte versucht sein, dem Völkerrecht aus
seiner dunklen Seite einen Strick zu drehen;
insbesondere die Befürworter des Irakkrieges haben
dies versucht (ohne dabei jedoch den gesamten
Themenkomplex auch nur annähernd zu reflektieren).
Das Bemerkenswerte dieser Kritiker ist, daß sie
ansonsten zu den striktesten Verfechtern
konservativen Machterhaltes zählen; den Staat oder
sein Gewaltmonopol in Zweifel zu ziehen fiele
Ihnen nicht ein. So finden sich die eifrigsten
Kritiker des Völkerrechtsargumentes beispielsweise
in der CDU, deren Markenzeichen es gerade ist, der
konservativen Staatsidee zu dienen. Genauer:
Während die Kritiker des Völkerrechtes dem
bürgerlichen Staate und seinem Gewaltmonopol
subalterne Hörigkeit zollen, werfen sie dem
Völkerrecht gerade die Begünstigung des
staatlichen Gewaltmonopols vor. Daß Politiker
indes kein theoretisches Verständnis Ihrer
Äußerungen haben, oder, wenn sie es haben,
peinlich bedacht sind, es zu verbergen, soll uns
an dieser Stelle nicht davon abhalten weiter zu
denken.

Also: Ist das Völkerrecht nun abzulehnen?
Mitnichten. Der Grund ist einfach und logisch
einsichtig: Zwar kann das Völkerrecht nicht den
Mißbrauch des staatlichen Gewaltmonopols
unterbinden; seine Abschaffung indes kann diesen
Mißbrauch ebenso wenig verhindern. Wenn es den
Staaten formell erlaubt wäre, einander militärisch
zu überfallen, würde im besten Falle ein
staatliches Gewaltmonopol unter vielem
Blutvergießen durch ein anderes verdrängt werden;
ob dies im Allgemeinen eine Verbesserung der
Verhältnisse darstellt darf bezweifelt werden. Und
selbst wenn diese Verbesserung zuweilen einträfe:
Ein Recht, das »zuweilen« nur gerecht ist, kann
unser Ziel nicht sein.

Zudem fände zum Erreichen dieser »Verbesserung«
ein Krieg statt; im Kriege findet sich das
Gewaltmonopol der Staaten aufs Äußerste
entfesselt. Gerade, was vermieden werden soll:
Willkürliches Töten und Schutzlosigkeit der
Menschen findet hier seine höchste Steigerung,
denn das Töten und die Verwundung des »Gegners«
ist erklärtes Ziel des Krieges. Die Beachtung oder
Einhaltung des Völkerrechtes nach Gutdünken
(falktisch: seine Abschaffung) bricht also nicht
mit seiner »dunklen Seite«; es schafft die
innerstaatliche Willkür nicht ab, sondern fügt ihr
lediglich noch die Dimension zwischenstaatlicher
Willkür hinzu.

Kommen wir als letztes auf die USA und ihr
Verhältnis zum Völkerrecht zu sprechen: Im Prinzip
offerieren die USA der Welt ihr Gewaltmonopol als
durchsetzbare Alternative zum Völkerrecht. Wobei
die USA keine besondere Unterscheidung zwischen
»Offerte« und »Offensive« machen: Eine Ablehnung
liegt nicht ganz im freien Ermessen der Staaten;
wer es tut, gilt als Antiamerikaner und darf mit
Konsequenzen rechnen. Er kann schonmal mit Lybien
und Cuba gleichgestellt werden, die ihr
staatliches Gewaltmonopol bislang auch nicht an
die Amerikaner abgeben wollten.
Wer behauptet, es gäbe deutliche Unterschiede
zwischen den Staaten bezüglich der Ausübung ihres
Gewaltmonopols, spricht unzweifelhaft wahr; wer
indes weitergehend vermeint, diese Unterschiede
wären prinzipieller Natur, irrt. Die Unterschiede
sind graduell und zudem weder zeitlich konstant,
noch auf mittlere Sicht vorhersehbar. So
wechselten Zeiten, in denen in den USA recht
ausgiebig Gebrauch vom innerstaatlichen
Gewaltmonopol gemacht wurde (die letzte große
Welle der Gewalt war die McCarthy-Ära; was der
»Patriot-Act« bringen wird, bleibt abzuwarten) mit
Zeiten relativer Mäßigkeit. Entscheidend bleibt in
diesem Zusammenhange, daß jeder Staat die Potenz
zur Entgleisung in der Gewaltanwendung birgt, wie
weiter oben bereits verdeutlicht.
Der Unterschied zwischen den USA und der UNO
besteht darin, daß die Staaten im Falle eines
»US-Völkerrechtes« zwar kein Mitspracherecht
hätten, das Recht (und Unrecht) jedoch
durchsetzbar wäre; im Falle der UNO verhält es
sich genau umgekehrt.

Schnitt. An alle, die bis hierher gefolgt sind
(man entschuldige die Länge...) ergehen also
folgende Fragen: Was spricht eigentlich gegen das
durchsetzbare »US-Völkerrecht«? Oder müßte endlich
die UNO mit einer vernünftigen Militärmacht
ausgestattet und der Sicherheitsrat demokratisiert
werden? Welche Rolle spielte in diesem Ramen die
Waffenindustrie? Oder haben am Ende doch jene
radikalen Kritiker recht, die jeglichen Staat
ablehnen? Wie denken die werten Beiträgler des
Brodariums zu diesen Dingen?


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