Die Schimäre des Völkerrechts

Sarah @ Smadar und Zeus, Donnerstag, 01. Mai 2003, 03:04 (vor 7689 Tagen) @ Smadar@Zeus

Hallo,

ich finde Eure Beiträge sehr inspirierend und
freue mich, dass keine "Hackstecherei" aus dem
Disput wurde, wie "Auschwitz" völkerrechtlich zu
begreifen ist. Ich möchte gern auf mir wesentlich
erscheinende Aspekte eingehen und bitte Euch, mir
nicht zu zürnen, dass ich Euch das Wort etwas
abschneide.

Smadar@Zeus schrieb:

Lediglich das Projekt, aus allen europäischen (und
einigen aussereuropäischen) Nationen eine
bestimmte Bevölkerung zu isolieren, bedarf der
Eroberung.


Richtig. Auch in Deutschland mußten sich die Nazis
zuerst die Staatsmacht und damit die
Verfügungsgewalt über das Gewaltmonopol erobern.
Wie sie strategisch dabei vorgingen, wissen wir ja
aus der Vorgeschichte von 1933.

Im Übrigen - ich weiß nicht, ob Du

das implizieren wolltest - spricht einiges gegen
die "Unvergleichlichkeit" oder "Einmaligkeit" der
Shoah: Wenn sie "einmalig" wäre, gäbe es keinen
Grund zur Beunruhigung; sie könnte sich ja nicht
wiederholen.


Auch Adorno hat die Singularitätsideologie (wie
sie z.T. leider seine Epigonen vertreten) kritisch
reflektiert. Es ist sehr gefährlich, den
industrialisierten Massenmord an Menschen als
erneute Möglichkeit von Barbarisierung der
bürgerlichen Gesellschaft auszuschließen bzw. dies
als "Verkehrsunfall" (in) der Geschichte
anzusehen, der sich nicht mehr wiederholen kann...

Stimmt, aber es kommt auch darauf an, von wessen
Sichtweise aus man auf die Ereignisse blickt. Die
massenhafte, industrialisierte und
durchorganisierte Vernichtung von Menschen wäre
wiederholbar. Aber für uns Juden ist unsere
europäische Kultur für immer verloren, zumindest
in ihrer Kontinuität.


Was bedeutet Kultur? Stirbt nicht die menschliche
Kultur bzw. sich dem Menschen zuwendende Kultur
mit jedem Menschenleben, was ausgelöscht wird? War
nicht dieses entsetzliche Kapitalverbrechen und
der Massenmord für die gesamte Menschheit ein
Verlust von Hoffnung in den Menschen bzw. den
Humanismus? Ist nicht seitdem auch die Kultur en
generalis sehr, sehr fragwürdig geworden?

Yiddisch z.B. wird nie wieder eine alltägliche,
lebendige, profane Sprache werden.


Sie ist nun mehr im englischsprechenden Raum bzw.
in Amerika zu finden. Ich kann "Jiddisch - eine
kleine Enzyklopädie" von Leo Rosten dazu sehr
empfehlen, der den Wurzeln der yiddischen Sprache
(die ehemals eine Schwestersprache des Deutschen
- da im Spätmittelalter im Rheinland entstanden -
war) nachgeht.

Und die Einleitung bzw. die ersten Sätze
entsprechen dem Traum von Henryk M. Broder in
"American Delicatessen":
"´Give me your tired, your poor, your huddled
masses´ steht auf der amerikanischen
Freiheitsstatue, und nirgends wird dieses Prinzip
des All-Völker-Staates sichtbarer als auf Ellis
Island, wo zwischen 1992 und 1954 ungefähr zwanzig
Millionen Einwanderer ihre erste
Aufenthaltserlaubnis erhielten."
Diese Einwanderer, darunter viele Juden kamen mit
dem Schiff und sahen - bei ihrer sich dem Hafen
nähernden Ankunft - zuerst die Freiheitsstatue.


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