Frömmigkeit vs. Eiferertum

NN, Freitag, 14. Mai 2021, 02:39 (vor 1292 Tagen) @ Serious Black

Solange betende Juden als ‚Provokation‘ aufgefasst werden, kann es keinen Frieden geben.

Diese Aussage halte ich für zu apodiktisch. Es kommt hier auf den konkreten Kontext Tempelberg an. Und es deutet einiges darauf hin, dass es sich bei den Beispielen, die Croitoru erwähnt hat, um kein Beten um des bloßen Betens willen handelte. Wie du weißt, gibt es zumal in Jerusalem auch jüdische Eiferer.

Ähnlich wie es sich etwa bei den Muslimen, die jüngst unbedingt in der von einem ökumenischen Museum wieder in eine Moschee umgewandelte Hagia Sophia beten mussten, wohl kaum um Gläubige handelt, die dies allein um des Betens Willens taten. Ich bin mir nicht sicher, ob die Umwidmung und das Beten nun mit Provokation treffend beschrieben ist, aber um eine Machtdemonstration handelt es sich allemal. (Mal abgesehen von auf der Straße betenden Takbir-Brüllern - auch so gut wie jeder islamische Nicht-Salafist weiß ganz genau, dass es sich dabei um eine Provokation handelt.)

Und wenn ich darüber nachdenke, fallen mir auch ebenso penetrant wie demonstrativ betende Christen und Christinnen ein. Eine davon z.B. war meine Grundschullehrerin in der Montessori-Schule, die aus der katholischen Prägung Maria Montessoris einen ständigen katholischen Religionsunterricht (Wunder! Stigmata! Maria! Der Papst!) inkl. Beten im Klassenraum ableitete. Dabei war allenfalls die Hälfte der Kinder katholisch. Die andere Hälfte war überhaupt nicht getauft, protestantisch oder hatte jüdische oder muslimische Eltern.

Als Grundschulkind konnte ich das Verhalten dieser Lehrerin noch nicht so genau einordnen und beschreiben (was wohl auch ein Grund dafür war, dass sich meines Wissens nach Eltern nie über das fortlaufende, spezifisch katholische Tamtam beschwert haben*). Aber eines wusste ich schon ganz genau: Diese Frau verhält sich als religiöse Person anders als die von mir als Kindergartenkind sehr geschätzte Schwester Walburga, die selbstredend einen Habit trug. Schwester Walburga war fromm, Hildegard A. war eine religiöse Eifererin.

Die Grenzen zwischen beiden Personengruppen mögen mitunter fließend sein, und sie mögen zwischen den Religionsgruppen nicht gleich verteilt sein. Aber die Unterscheidung hat ihre Berechtigung, in Bezug auf alle Religionsgruppen. Ich würde sogar sagen, dass man auch zwischen "gläubigen" Atheisten und atheistischen Eiferern unterscheiden kann.


* Die Nummer hätte sie mal in Ostwestfalen abziehen sollen.


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