Frankreich - Deutschland / Ideologien - Pathologien

NN, Donnerstag, 24. Juni 2021, 20:43 (vor 1380 Tagen) @ Udosefirot

" Das ist eine sehr unbefriedigende Rechtspraxis."

Hmm, ist aber die legitime angestammte Praxis in FR, kann man deshalb auch nachvollziehen.
Eher habe ich ein Problem mit der Rechtsprechung im angelsächsischen Raum... der Präzedenz-
fall und Präzedenzurteil.

Woher dein Sinneswandel?

Wenn wir von (völliger) Unzurechnungsfähigkeit / Schuldunfähigkeit im Strafrecht reden, dann betrifft das häufig/meistens Psychotiker* (soweit ich weiß, ist man jedenfalls in Deutschland im Falle von Straftaten im bloßen Suff oder auch anderen Drogen etwas zurückhaltender geworden, was das Erkennen auf Schuldunfähigkeit angeht). Die Unterbringung von psychotischen Straftätern in der Psychiatrie ist zumal auch deshalb geboten, weil so das Risiko eines Rückfalls in das schädigende Verhalten minimiert ist, wenn / falls die Betreffenden wieder entlassen werden.

Das heißt übrigens auch: Sofern die Dauer eines drohenden Freiheitsentzuges hier der Maßstab ist, tut ein Strafverteidiger seinem Mandanten nicht zwingend einen Gefallen, wenn er auf teilweise oder völlige Schuldunfähigkeit plädiert. (Gerade rechtspopulistisch eingestellte Menschen können oder wollen das nicht verstehen.)

Aber, einmal abgesehen von den Gründen, die auch SB weiter oben genannt hat: Dass Personen, die in einem unzurechnungsfähigen Zustand eine Straftat begangen oder sich anderweitig fremdgefährdend verhalten haben, soweit sie sich wieder auf dem Boden der Realität befinden, zumal vor Gericht mit ihrem Verhalten konfrontiert werden, ist meines Erachtens wichtig. Ein Problem ist nämlich, dass sich zumindest einige darunter nicht oder nicht richtig an das, was sie gemacht haben, erinnern können und/oder wollen.

Der weiter oben erwähnte Mitbewohner aus den 90ern hatte, als sein Hirn völlig eskalierte, auf Mallorca eine Fete gesprengt. Dabei hat er sich sich massiv fremdgefährdend verhalten. Es war Glück, dass dabei weder jemand anders noch er selber schwerer verletzt wurde. So glaubte er u.a., dass jemand, der mit Blitzlicht fotografierte, auf ihn schoss und leitete ebenso vehemente wie umfangreiche "Abwehrmaßnahmen" ein. Das Geschehen endete vorläufig damit, dass er von fünf erwachsenen Männern umgenietet wurde und ihm ein herbeigerufener Arzt gegen seinen Willen eine größere Dosis Beruhigungsmittel spritzte. Die Polizei wurde nicht gerufen. Seine damalige Freundin hat es dann, nachdem er eine Nacht im normalen Krankenhaus verbracht hatte, irgendwie geschafft, ihn ins Flugzeug bzw. wieder nach hause zu bugsieren.

Etwas später landete er dann für ein paar Wochen in der Psychiatrie und wurde mithilfe einer zeitweisen Medikamentengabe allmählich wieder in die Realität geholt. Der behandelnde Arzt sagte ihm, dass er sein Leben lang kein Cannabis mehr konsumieren und für mindestens zwei Jahre keinen Alkohol trinken darf. Als er wieder draußen war, wollte er von seiner damaligen Freundin jedoch nichts darüber hören, was er vorher so alles veranstaltet hatte; sie sagte, dass er sich teils nicht erinnern konnte und auch nicht erinnert werden wollte. Da für ihn die Welt nun wieder in Ordnung schien, hielt er sich nur kurze Zeit von Alkohol und Cannabis fern. Seine damalige Freundin trennte sich von ihm. Zu mir suchte er keinen Kontakt mehr, weil ich ihm klar gesagt hatte, dass er definitiv nicht mehr kiffen und länger nicht trinken darf. Darüber hinaus begann er damit, grandiose real life-Theaterrollen zu spielen und wusste immerhin, dass er mich damit absolut nicht überzeugen konnte.

Was ich dann noch von seiner Ex-Freundin und gemeinsamen Bekannten hörte, war die zu erwartende, fortlaufende Katastrophe: So verursachte einen schweren Verkehrsunfall, bei dem der Beifahrer verletzt wurde. Die Sache hatte keine Rechtsfolgen, er war zum gegebenen Zeitpunkt nicht intoxiniert. Ein alter Freund von ihm, der nicht zu aggressivem Verhalten neigte, zog ihm eine Flasche durchs Gesicht. Weil er entsprechend die Auseinandersetzung angefangen und dabei den Kürzeren gezogen hatte: Keine Rechtsfolgen. Zum Schluss hörte ich dann noch, dass er mit halbseidenen Typen, mit denen er um höhere Beträge gepokert hatte, schweren Streit hatte. Auch das ist wohl gerade so noch glimpflich ausgegangen. Rechtsfolgen: Natürlich Fehlanzeige.

Wieso erzähle ich diesen ganzen Scheiß? Zunächst: Dass das Ganze für ihn (bis dahin jedenfalls) keine Rechtsfolgen hatte, ist sicher auch dumm gelaufen, es lag meines Wissens nach kein institutioneller Fehler vor.

Der Punkt ist aber: Wenn dem besagten ehemaligen Mitbewohner ein Richter und ein Staatsanwalt sozusagen beim Runterkommen geholfen hätten, wäre das für ihn und andere Menschen mit einiger Wahrscheinlichkeit hilfreich gewesen. Wenn man ihn ggf. (also ohne Hauptverfahren) nur für ein paar Monate in die Psychiatrie gesteckt hätte, hätte er sich möglicherweise darum herumgedrückt, sich mit seinen gefährlichen Ausrastern zu konfrontieren.

Aber wie dem auch sei: Ein Glück war immerhin, dass er in seinem nüchternen / voll zurechnungsfähigen Zustand kein Ideologe war oder eher apolitisch zu irgendwelchen Feindbildern neigte.

* Um es klar zu sagen: Die meisten Psychotiker verhalten sich nicht fremdgefährdend. Manche aber schon.