Klangbox

NN, Montag, 26. April 2021, 22:17 (vor 1305 Tagen) @ Udosefirot

"Daneben bin ich mir nicht sicher - soll heißen: ich weiß es wirklich nicht genau! -, ob der gesunkene Stellenwert der klassischen Musik (im weitem Sinne) und die damit einhergehende gesunkene Instrumentenspielquote vor allem auf das Bildungssystem bzw. weniger / schlechteren(?) Musikunterricht zurückzuführen sind. Ich vermute, dass eine Veränderung der Prioritäten in (vor allem) bildungsbürgerlichen Haushalten hierfür mindestens im selben Maße verantwortlich ist. Sei es nun bedingt durch Veränderungen innerhalb von Elterngenerationen oder durch Veränderungen in den Kindergenerationen."

D´accord - Kultur ist immer auch Wandel! Oper war und ist immer elitär und war das Vehikel
für das Bildung - und Besitzbürgertum sich der herrschenden Elite anzupassen.

Anzupassen? Inwiefern? Nicht eher / auch oder genauer: anzugleichen? Oder, wenigstens zum Teil, mehr noch: Sich vom Adel zu emanzipieren? Musiker waren weit überwiegend Bürgerliche, weniger Adelige. Die Adeligen waren längere Zeit die Veranstalter und, solange die weltliche Kunstmusik (unterschieden von der Volksmusik und der Kirchenmusik) noch im engeren Sinne örtlich an die Höfe gebunden war, die Konsumenten.

Die höfische Gesellschaft Alteuropas hatte ab der Spätrenaissance die Ausdifferenzierung der weltlichen Kunstmusik (Tänze, Gebrauchsmusik) aus der Kirchenmusik ermöglicht; Fürsten stellten Komponisten an und finanzierten Orchester. Noch Bach war ganz wesentlich auch Kirchenmusiker.

Aber in der Musik der ständischen Gesellschaft galt im Großen und Ganzen das meritokratische Prinzip. Komponisten mögen lange Zeit von den Aufträgen, der Gnade bzw. vom Geschmack von Fürsten auch abhängig gewesen sein. Was im Wesentlichen zählte, waren jedoch die künstlerischen / handwerklichen Fähigkeiten. Von ihrem inhärenten Leistungsprinzip her lag die Musik quer zum dynastischen Prinzip des Adels, dessen leistungslose Legitimität mit zunehmender Zeit immer mehr bezweifelt wurde.

Ich bin nun überfragt damit, ob und wenn ja, inwieweit die Stoffe von Opern den Themen des bürgerlichen Romans ab Ende des 18. Jahrhunderts ähneln oder gleichen. (Auch ist es, nebenbei bemerkt, ziemlicher Quatsch, Beethoven als Revolutionär im politischen Sinne zu bezeichnen bzw. dies zu suggerieren; soweit ich weiß, hat er die Herrschaft des Adels nie in Frage gestellt.)

Man könnte gleichwohl sagen, dass der klassische Musikbetrieb längere Zeit ein Stück weit auch ein Vehikel zum bürgerlichen Aufstieg und/oder für das bürgerliche Sozialprestige war, aber diese Teilfunktion im 20. Jahrhundert verloren gegangen ist. Es bestand zunehmend weniger eine sozioökonomische Bewandtnis dafür, Berufsmusiker zu werden. In diesem Zusammenhang fällt mir meine alter Kölner Fahrlehrer ein. Der Mann kam aus kleineren bürgerlichen Verhältnissen* und ist ein wahrer Musikus und gab nebenher noch Kurse an der Rheinischen Musikschule, spielt(e) in der Kirche Orgel, organsierte Karnevalskapellen und trat bei Gelegenheit auch mit Bands in Festzelten auf. Berufsmusiker ist er deshalb nicht geworden, weil er seiner Familie einen höheren Lebensstandard bieten wollte.

* Wo bzw. wann hat er Musik gelernt? - Bei Mönchen in einem katholischen Internat in der Eifel in den 50ern. Gibt es das (so) heute noch? - Wahrscheinlich nicht.

Aber diese neuen Klassen waren musikalisch eben gebildet, allweil Musik mit zu einem humanis-
tischen Unterricht gehörte! ( dazu stehe ich immer noch ) Ich glaube wirklich um den
Genuss einer Oper auszukosten und zu erleben, bedarf es einer musikalischen Vorbildung.

"Und obendrauf kommt weiter, dass sich der gleichwohl nach wie vor existierende musikalische Hausgebrach stark geändert hat: Wenn man singt, singt man seltener im Kirchenchor oder weniger in irgendeiner Weise klassisch. Und wenn man ein Instrument spielt, dann spielt man häufiger (E-)Gitarre, Schlagzeug oder Bass - schon vergleichsweise seltener ein Tasteninstrument. Will sagen: Der musikalische Hausgebrauch, aus dem wahrscheinlich mitunter (auch von der sozialen Schicht unabhängig) Talente gewachsen sind, hat sich ab den 50ern zunehmende von der klassischen Musik im Allgemeinen und der Oper im Besonderen entfernt."

Ja hier wirkte auch die soziale Auslese,

Jain. Es ist davon auszugehen, dass die klassische Musik (im weiten Sinne) heutzutage genau genommen noch bildungsbürgerlicher geprägt ist, als früher.

Was ich hiermit...

Der musikalische Hausgebrauch, aus dem wahrscheinlich mitunter (auch von der sozialen Schicht unabhängig) Talente gewachsen sind

...meine, ist genauer gesagt der Umstand, dass Berufsmusiker in vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten ihrer Herkunft nach weniger zwingend groß- oder bildungsbürgerliche Subjekte waren. Diverse Kirchenmusiker und kleine Kapellmeister haben mitunter talentierte Kinder und Jugendliche aus bescheideneren und durchschnittlichen Verhältnissen für den gehobeneren Musikunterricht (wie auch immer dieser jeweils im einzelnen organsiert war) weiterempfohlen. Ich vermute, dass das heute vergleichsweise weniger vorkommen wird, da der musikalische Hausgebrauch (im engen und erweiterten Sinne) sowie entsprechend die Anlässe, zu denen Musik gemacht wird (und eben nicht: abgespielt!) in allen gesellschaftlichen Schichten abgenommen hat.

Vereinfacht gesagt: Das Rock/Pop-Ensemble hat nicht nur ab den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts unterschiedlichen Chören und Kapellen, die zu allen möglichen Anlässen spielten, den Rang abgelaufen, es gibt nun schlicht auch weniger Chöre und Kapellen, die mit ihrer Art Musik zu machen oder zumindest: durch die verwendeten Instrumente näher an der klassischen Musik dran sind.

wer hatte schon das Glück wenigstens mit dem
Orfschen Schulwerk in Kontakt zu kommen, oder auf der Schule ein Instrument zu spielen?
Das klage ich diesem Bildungssystem an, musikalische Legastheniker hervorgebracht zu
haben. ( nicht nur dort, sieht man sich die Matura Anforderungen der jetzigen Zeit an,
fragt man sich...was lernen die noch?)

Mit all dem Gesagten möchte ich fehlenden oder schlechten Musikunterricht nicht entschuldigen. Aber das Orffsche Schulwerk ist ein komplettes musikpädagogisches Konzept, das wohl auch in einem besseren gymnasialen Musikunterricht nicht wirklich operationalisiert werden kann. Es wäre von daher schon in Ordnung, wenn Schulkinder mal Orff zu hören bekommen würden.


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